Gemäß § 43b BRAO ist Werbung einem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Bestimmung des § 43b BRAO jedenfalls seit dem 28.12 2009 im Hinblick auf die Richtlinie 2006/123/EG vom 12.12 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt anhand des Maßstabs des Art. 24 der Richtlinie auszulegen. Ein Werbeverbot ist danach nur bei einer durch eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls festzustellenden konkreten Gefährdung der von § 43b BRAO im Einklang mit dem Unionsrecht geschützten Interessen gerechtfertigt, zu denen auch Verbraucherinteressen gehören[1]. Aus dem Erfordernis der konkreten Gefährdung dieser Interessen ergibt sich, dass sich ein Verbotsgrund im Einzelfall aus der Form, aus dem Inhalt oder aus dem verwendeten Mittel der Werbung ergeben muss. Allein der Umstand, dass ein potentieller Mandant in Kenntnis von dessen konkretem Beratungsbedarf angesprochen wird, genügt diesen Anforderungen nicht[2]. Ein Werbeverbot kann vielmehr nur zum Schutz des potentiellen Mandanten vor einer Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit durch Belästigung, Nötigung und Überrumpelung gerechtfertigt sein. Aus der gesetzlichen Anordnung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ergibt sich ferner, dass eine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen ist. Dabei sind neben der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit, der Würde oder der Integrität der Rechtsanwaltschaft auch Art und Grad der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers durch Form, Inhalt oder das verwendete Mittel der Werbung zu berücksichtigen. Außerdem kommt es darauf an, ob und inwieweit die Interessen des Verbrauchers deshalb nicht beeinträchtigt sind, weil er sich in einer Situation befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung Nutzen bringen kann[3].
Nach diesen Grundsätzen ist das nachfolgende Werbeschreiben für den Bundesgerichtshof nicht zu beanstanden:
Dürfen wir Sie bezüglich ihrer Kapitalanlage bei der C. GbR kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten?
Wer wir sind und was wir tun:
Wir sind eine im Anlegerschutz seit vielen Jahren bundesweit tätige Anwaltskanzlei und vertreten Anleger, die ebenso wie Sie, Gesellschafter der C. GbR sind. Nachfolgend werden wir Ihnen unter Ziffer A zunächst wichtige Informationen über die C. GbR zukommen lassen, die Ihnen möglicherweise unbekannt sind. Unter Ziffer B möchten wir Sie um Informationen bitten, mit dem Ziel,
- für unsere Mandanten den sofortigen Ausstieg aus der Gesellschaft zu erreichen und
- Schadenersatz von den Vertriebsverantwortlichen, Initiatoren, usw. zu fordern.
Sollten Sie bereits anwaltlich vertreten sein, geben Sie unser Schreiben bitte an Ihren Anwalt/Ihre Anwältin weiter. Eine Kontaktaufnahme ist zur gegenseitigen Weitergabe von Informationen und ggf. anwaltlicher Abstimmung ausdrücklich erwünscht.
A. Zu den Fakten:
Über 40 Risiken werden im Fondsprospekt genannt. Darunter das Totalverlustrisiko sowie das Risiko der persönlichen Haftung mit Ihrem Privatvermögen. Mit anderen Worten: Nicht nur das eingezahlte Geld kann verloren gehen. Darüber hinaus sind Sie unter Umständen zu weiteren Zahlungen verpflichtet, wenn die Gesellschaft Schulden hat. War Ihnen dies bekannt?
B. Zu unserer Vorgehensweise:
Wie wir erfahren haben, gibt es Bestrebungen, die Geschäftsführung des Fonds auszutauschen, mit dem Ziel der Abwicklung der Gesellschaft. Wir halten einen anderen Weg für richtig.
Warum:
Die Einberufung von Gesellschafterversammlungen, die Übernahme der Geschäftsführung usw. dauert viel zu lange, wobei Sie laufend weiter zahlen müssen. Der Ausgang der Abstimmung ist völlig ungewiss, insbesondere ist in keiner Weise klar, ob die erforderlichen Mehrheiten erreicht werden.
Unsere Empfehlung ist daher folgende:
- Rechts- und formwirksame Kündigung, Anfechtung und Widerruf der Beitrittserklärung mit ausführlicher rechtlicher Begründung gegenüber der Gesellschaft.
- Ggf. sofortige Aufnahme von Vergleichsverhandlungen mit dem Ziel des Ausstiegs aus der Gesellschaft.
- Stellung von Schadenersatzansprüchen gegenüber den Verantwortlichen.
Um hier, für unsere Mandanten, weiterhin erfolgreich vorzugehen, benötigen wir weitere Informationen. Zu diesem Zweck haben wir einen Fragebogen beigefügt, mit der herzlichen Bitte, diesen ausgefüllt an uns zurückzusenden. Nach Auswertung der Fragebögen werden wir Sie dann mit weiteren Informationen versorgen, so dass Sie in der Lage sind Ihre unabhängige Entscheidung zu treffen. Bitte machen Sie sich die Mühe, den Fragebogen – Rückumschlag liegt bei – zurückzusenden. …
Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in der Vorinstanz angenommen hat, die Rechtsanwälte hätten in gedrängter Darstellung die Risiken des Totalverlustes und das Risiko der persönlichen Haftung der Gesellschafter hervorgehoben[4], lässt sich daraus keine hinreichend konkrete Beeinträchtigung der Interessen der Anleger entnehmen. Gerade in der Situation eines konkreten Beratungsbedarfs kann ein Interesse des Anlegers an einem Hinweis auf drohende Risiken bestehen.
Tatsächliche Umstände, die dafür sprechen können, dass die Entscheidungsfreiheit der angeschriebenen Anleger durch die Besonderheiten ihrer Situation oder durch die Art und Weise der werblichen Ansprache beeinträchtigt gewesen wären, liegen nicht vor. Die Annahme des Berufungsgerichts, der angeschriebene Anleger werde durch die bewusste Verknappung der Information und die nur eingeschränkt aussagekräftige Darstellung seiner eigenen Situation „wachgerüttelt“ und es würden Ängste geweckt und geschürt, so dass er keine Alternative sehen werde, als die von den Beklagten angebotenen Lösungen zu wählen, findet keine hinreichende Grundlage in dem beanstandeten Schreiben. Darin wird keine Situation geschildert, in der die Gefahr des Verlustes erheblicher Vermögenswerte unmittelbar droht und eine überlegte und informationsgeleitete Entscheidung für oder gegen das Angebot der Beklagten nicht mehr möglich ist oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen getroffen werden kann. Das beanstandete Schreiben ist in Form und Inhalt sachlich abgefasst. Belästigende oder bedrängende Elemente finden sich dort ebenso wenig wie Gesichtspunkte, die mit der Würde, Integrität und Unabhängigkeit des Berufsstandes des Rechtsanwalts nicht im Einklang stehen. Wie auch das Landgericht mit Recht hervorgehoben hat, wird in dem Schreiben im Schwerpunkt um Informationen des angeschriebenen Anlegers gebeten, die der Betreuung bereits bestehender Mandate der Beklagten dienen sollen. Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass die Übersendung des Fragebogens allein erfolgte, um einen Vorwand für die werbliche Ansprache der Anleger zu liefern, sind vom Berufungsgericht weder festgestellt worden noch ersichtlich. Die gestellten Fragen weisen vielmehr einen sachlichen Bezug zur Bearbeitung bereits erteilter Mandate auf. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Beklagten ausdrücklich die Alternative einer anderweitigen anwaltlichen Vertretung erwähnt und für diesen Fall die Möglichkeit einer Weiterleitung des Schreibens an diesen Rechtsanwalt angesprochen haben. Damit wird auch dem Eindruck entgegengewirkt, ausschließlich die Beklagten seien in der Lage, dem Anleger wirksam anwaltlich zu helfen. Gesichtspunkte, die im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung für eine überwiegende Beeinträchtigung der Interessen der angeschriebenen Anleger oder des Berufsstands der Rechtsanwälte sprechen, sind nach alledem nicht gegeben.
Das Berufungsurteil des OLG Frankfurt erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Angaben in dem beanstandeten Schreiben irreführend gewesen wären oder dass die Beklagten gezielt in die Beziehung der Klägerin zu ihren Mandanten eingegriffen hätten. Anhaltspunkte dafür sind auch sonst nicht ersichtlich.
Der Streitfall wirft keine entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung des Unionsrechts auf, die ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union erfordern. Hinsichtlich der Auslegung der fraglichen Bestimmungen der Richtlinie 2006/123/EG bestehen keine vernünftigen Zweifel[5]. Dementsprechend ist auch keine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union veranlasst[6].
Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. Juli 2014 – I ZR 188/12
- BGH, Urteil vom 13.11.2013 – I ZR 15/12, BGHZ 199, 43 Rn. 14, 20 f. Kommanditistenbrief[↩]
- BGHZ 199, 43 Rn. 18 Kommanditistenbrief[↩]
- BGHZ 199, 43 Rn. 21 Kommanditistenbrief[↩]
- OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 28.08.2012 – 6 U 167/11[↩]
- BGHZ 199, 43 Rn. 25 Kommanditistenbrief[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.1982 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 C.I.L.F.I.T.[↩]