Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze – und die Einzelanweisung

Eine Einzelanweisung, die das Fehlen allgemeiner organisatorischer Regelungen zur Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze ausgleichen kann, setzt voraus, dass der Rechtsanwalt für einen bestimmten Fall genaue Anweisungen erteilt, die eine Fristwahrung sicherstellen. Erschöpft sich die Einzelanweisung lediglich darin, die Art und Weise, den Zeitpunkt sowie den Adressaten der Übermittlung zu bestimmen, genügt dies nicht[1].

Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze – und die Einzelanweisung

In dem hier vom Bundesgerichtshof enrschiedenen einer versäumten Berufungsfrist hatte der Prozessbevollmächtigte die Berufungsschrift am Samstag in den Kanzleiräumen verfasst, vollständig ausgefertigt (Original, beglaubigte Ablichtung, Abschrift) und unterzeichnet. Sodann hat er die Handakte zusammen mit der angeklammerten Rechtsmittelschrift in den sog. „Eiltkorb“ auf dem Schreibtisch der Rechtsanwaltsfachangestellten S. gelegt. Da er am Tag des Fristablaufs, dem nachfolgenden Montag, ganztägig büroabwesend war, hat er auf der für die Handakte bestimmten Abschrift der Berufungsschrift handschriftlich verfügt, den Schriftsatz am Montag an das Oberlandesgericht F. zu faxen und im Original per Post zu übersenden, anschließend die Frist zu streichen und schließlich die Akte zur nächsten Vorfrist wieder vorzulegen. Hinsichtlich des „Eiltkorbs“ gab es die büroorganisatorische Weisung, dass die dort abgelegten Vorgänge Vorrang vor allen anderen Arbeiten haben und dass der Korb vor Arbeitsende der letzten Büroangestellten erledigt – also leer – sein muss. Nur die Rechtsanwälte der Sozietät durften dort fristgebundene Einzelweisungen ablegen. Es entsprach der einheitlich geübten Büroorganisation, eine Frist erst nach erfolgter fristgemäßer Versendung des Schriftsatzes zu streichen. Am Montagnachmittag hat der Prozessbevollmächtigte mit der Büroangestellten S. telefoniert und dabei auch die von ihm stammende Verfügung im „Eiltkorb“ angesprochen. Frau S. hat bestätigt, diese zur Kenntnis genommen zu haben, und erklärt, dass dies bereits erledigt sei oder erledigt werde.

Trotz der eindeutigen und für das Kanzleipersonal auch erkennbaren Verfügung hat die Büroangestellte die im Fristenkalender eingetragene Berufungsfrist zwar gestrichen und die verfügte Wiedervorlage in den Kalender eingetragen, jedoch versäumt, die ihr vorliegende Berufungsschrift zunächst per Telefax und sodann postalisch an das Oberlandesgericht zu senden. Stattdessen habe sie die Berufungsschrift in die Aktenlasche der Handakte gesteckt.

Bei der Büroangestellten S. handelt es sich um eine ausgebildete, geschulte und zuverlässige Kraft, die seit mehr als 15 Jahren als Rechtsanwaltsfachangestellte beruflich tätig ist und bislang an diversen Schulungs- und Fortbildungsveranstaltungen teilgenommen hat. In der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten erfolgen regelmäßig Kontrollen und Stichproben sowohl zur Fristenkontrolle als auch hinsichtlich des ordnungsgemäßen Postausgangs und der Umsetzung sämtlicher anwaltlicher Verfügungen. Diese hatten eine fehlerlose Ausführung sämtlicher anwaltlicher Verfügungen durch die Angestellte S. ergeben.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen[2]. Der Bundesgerichtshof bestätigte dies:

Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt (§ 233 ZPO) und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO). Seine Würdigung, die Klägerin habe ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht auszuräumen vermocht, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die Verfahrensgrundrechte der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) hat das Berufungsgericht nicht verletzt.

Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss er nicht nur sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmitteleinlegungs- und Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden, sondern er hat auch eine wirksame Ausgangskontrolle zu schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich hinausgehen[3]. Bei einer Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur Ausgangskontrolle nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden[4]. Die Überprüfung des Sendeberichts kann lediglich dann entfallen, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzleiangestellten angewiesen hat, die Frist erst nach telefonischer Rückfrage beim Empfänger zu streichen[5]. Schließlich gehört zu einer wirksamen Fristenkontrolle auch eine Anordnung des Rechtsanwalts, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft nochmals abschließend selbständig geprüft wird[6]. Diese allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze dient nicht allein dazu, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen im Fristenkalender noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben, sondern hat vielmehr auch den Zweck, festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht[7]. Deshalb ist dabei, gegebenenfalls anhand der Akten, auch zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind[8].

Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Büro ihres Rechtsanwalts hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen wurden, die eine effektive Ausgangskontrolle gewährleisteten. Den Darlegungen im Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass eine Kanzleianweisung bestand, nach Übersendung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax die entsprechende Frist erst nach vorheriger Überprüfung des Sendeprotokolls zu streichen. Ebenso wenig ist eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten dargetan, die sicherstellte, dass die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wurde. Da die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle stellt, einem Rechtsanwalt bekannt sein müssen, erlaubt der Umstand, dass sich der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin dazu nicht verhält, ohne Weiteres den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben[9].

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt keine hinreichend konkrete anwaltliche Einzelanweisung vor, die das Fehlen allgemeiner organisatorischer Regelungen ausgleichen könnte. Nur dann, wenn ein Rechtsanwalt für einen bestimmten Fall genaue Anweisungen erteilt, die eine Fristwahrung gewährleisten, sind diese allein maßgeblich und kommt es auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen nicht mehr an[10]. So ersetzt zum Beispiel die Anweisung, einen Schriftsatz sofort per Telefax zu übermitteln und sich beim Empfänger durch einen Telefonanruf über den dortigen Eingang des vollständigen Schriftsatzes zu vergewissern, alle allgemein getroffenen Regelungen einer Ausgangskontrolle, so dass sich etwa hier bestehende Defizite nicht auswirken[11]. Eine solche Weisung hat die Klägerin im Wiedereinsetzungsverfahren nicht behauptet. Ihr Vortrag hat sich vielmehr darin erschöpft, dass ihr Prozessbevollmächtigter auf der für die Handakte bestimmten Abschrift der Berufungsschrift verfügt habe, den Schriftsatz noch am 20.10.2014 an das Oberlandesgericht zu faxen, im Original per Post zu übersenden und anschließend die Frist zu streichen. Konkrete Anweisungen, die an die Stelle einer allgemeinen Ausgangskontrolle hätten treten können, wurden nicht gegeben, auch nicht bei dem Telefonat am Nachmittag des 20.10.2014, als der Prozessbevollmächtigte seine Büroangestellte lediglich auf die Verfügung im „Eiltkorb“ hinwies. Die Einzelweisung bestand somit lediglich darin, die Art und Weise, den Zeitpunkt sowie den Adressaten der Übermittlung zu bestimmen. Sie machte eine allgemeine organisatorische Regelung zur Kontrolle der Übersendung per Telefax und die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze nicht entbehrlich und war nicht geeignet, etwa bestehende Kontrollmechanismen, wie die Mitarbeiter eine vollständige Übermittlung per Telefax sicherzustellen haben und unter welchen Voraussetzungen sie eine Frist als erledigt vermerken dürfen, außer Kraft zu setzen[12]. Es entlastet den Anwalt auch nicht, wenn derartige Kontrollmechanismen nicht bestehen und er sich im konkreten Einzelfall darauf beschränkt, eine Übermittlung per Telefax anzuordnen[13].

Nach alledem stellt sich die Versäumung der Berufungsfrist nicht, wie die Klägerin meint, lediglich als Folge eines unvorhersehbaren, singulären und unerklärlichen „Blackouts“ einer erfahrenen und zuverlässigen Kanzleikraft dar, sondern vielmehr auch als Folge einer unzureichenden Kanzleiorganisation, durch die eine wirksame Ausgangskontrolle im Zusammenhang mit fristgebundenen Schriftsätzen nicht sichergestellt wurde.

Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Anordnung zur Durchführung der beschriebenen Telefaxkontrolle und der abendlichen Ausgangskontrolle bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Bürokraft die Berufungsfrist nicht versäumt worden. Denn dann hätte vor Fristablauf auffallen müssen, dass ein Sendeprotokoll nicht vorhanden war und die zu versendende Berufungsschrift im Original in der Aktenlasche der Handakte steckte, also eine Versendung der Berufungsschrift weder per Telefax noch postalisch erfolgt war.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25. Februar 2016 – III ZB 42/15

  1. Bestätigung und Fortführung des BGH, Beschlusses vom 12.09.2013 – III ZB 7/13, NJW 2014, 225[]
  2. OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.09.2014 – 226 O 341/13[]
  3. st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 31.03.2011 – III ZB 72/10, BeckRS 2011, 08258 Rn. 9; vom 27.11.2013 – III ZB 46/13, BeckRS 2014, 00520 Rn. 8; und vom 26.02.2015 – III ZB 55/14, NJW 2015, 2041 Rn.8; jeweils mwN[]
  4. s. nur BGH, Beschlüsse vom 02.07.2001 – II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60; vom 07.08.2013 – XII ZB 533/10, NJW 2013, 3183 Rn. 7; und vom 03.12 2015 – V ZB 72/15, BeckRS 2016, 02708 Rn. 12[]
  5. BGH, Beschluss vom 02.07.2001 aaO[]
  6. st. Rspr., s. etwa BGH, Beschluss vom 26.02.2015 aaO; BGH, Beschlüsse vom 04.11.2014 – VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8; vom 09.12 2014 – VI ZB 42/13, NJW-RR 2015, 442 Rn. 8; und vom 15.12 2015 – VI ZB 15/15, BeckRS 2016, 02765 Rn. 8; jeweils mwN[]
  7. BGH, Beschluss vom 26.02.2015 aaO Rn. 18; BGH, Beschlüsse vom 04.11.2014 aaO Rn. 10; und vom 15.12 2015 aaO[]
  8. BGH, Beschluss vom 15.12 2015 aaO[]
  9. BGH, Beschlüsse vom 03.12 2015 aaO Rn. 16; und vom 15.12 2015 aaO Rn.13 jeweils mwN[]
  10. BGH, Beschluss vom 12.09.2013 – III ZB 7/13, NJW 2014, 225 Rn. 11; BGH, Beschlüsse vom 23.10.2003 – V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369; vom 21.07.2008 – II ZA 4/08, BeckRS 2008, 17708 Rn. 3; und vom 03.12 2015 – V ZB 72/15, BeckRS 2016, 02708 Rn. 14[]
  11. BGH, Beschluss vom 03.12 2015 aaO; vgl. auch Beschluss vom 15.12 2015 – VI ZB 15/15, BeckRS 2016, 02765 Rn. 10[]
  12. vgl. BGH, Beschluss vom 12.09.2013 aaO; BGH, Beschluss vom 03.12 2015 aaO Rn. 15[]
  13. BGH, Beschlüsse vom 23.10.2003; und vom 03.12 2015 jew. aaO[]