Ein Reno-Azubi darf nicht faxen – zumindest nicht zur Fristwahrung

Die Übersendung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Fax darf einem Auszubildenden nur dann überlassen werden, wenn dieser mit einer solchen Tätigkeit vertraut ist und eine regelmäßige Kontrolle dieser Tätigkeit keine Beanstandungen ergeben hat[1].

Ein Reno-Azubi darf nicht faxen – zumindest nicht zur Fristwahrung

Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicher zu stellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss er unter anderem eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen. Da für die Kontrolle in jedem Anwaltsbüro ein Fristenkalender unabdingbar ist, muss der Rechtsanwalt dafür sorgen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht und die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet ist. Dabei ist die für die Kontrolle zuständige Bürokraft anzuweisen, dass Fristen im Kalender erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen sind, nachdem sie sich anhand der Akte selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Fristenkontrolle auch eine Anordnung, die gewährleistet, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft nochmals und abschließend selbständig überprüft wird[2]. Bei einer Übermittlung von Schriftsätzen per Fax gehört zur Ausgangskontrolle eine Überprüfung und ein Abgleich der Sendeberichte. Der Rechtsanwalt kommt seiner Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, nur dann nach, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen[3].

Dass im hier entschiedenen Fall die Organisation des Kanzleibetriebs der Prozessbevollmächtigten des Beklagten diesen Anforderungen genügt hat, lässt sich dem Wiedereinsetzungsantrag nicht entnehmen. Bereits deshalb lässt sich nicht ausschließen, dass die Versäumung der Frist auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Beklagten beruht, das dieser sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. In einem solchen Fall kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden. Zu Unrecht beruft sich der Beklagte auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 14.07.2015. Denn maßgeblich sind nur die Angaben, die eine Partei in ihrem Wiedereinsetzungsantrag mitgeteilt hat; jedenfalls sind die für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO vorzubringen. Zulässig ist nach Fristablauf lediglich die Ergänzung von fristgerecht gemachten, aber für sich, weil erkennbar unklar oder unvollständig, nicht ausreichenden Angaben, bei denen eine gerichtliche Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war[4]. Es besteht aber keine Verpflichtung des Richters, eine anwaltlich vertretene Partei auf die nicht ausreichenden Gründe des Wiedereinsetzungsantrags hinzuweisen[5]. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle stellt, sind bekannt und müssen einem Rechtsanwalt auch ohne richterlichen Hinweis geläufig sein. Wenn der Vortrag dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären oder zu füllen sind, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben[6].

Vorliegend beschränkte sich die Darstellung zur Ausgangskontrolle darauf, dass in der Kanzlei Fristen mit dem Programm RA-Micro erfasst würden und die Fristenkontrolle sowie Fristenbearbeitung ausschließlich langjährig beschäftigten Rechtsanwaltsfachangestellten obliege. Das Programm zeige allerdings nicht an, wer die konkrete Frist als erledigt und ordnungsgemäß bearbeitet angeklickt habe. Aufgrund der zeitlichen Gegebenheiten müsse es sich im vorliegenden Fall um die Mitarbeiterin K. gehandelt haben. Diesem Vortrag lässt sich nicht entnehmen, dass die Prozessbevollmächtigten des Beklagten die Ausgangskontrolle – im Hinblick auf die Einhaltung und Löschung von Fristen – entsprechend den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung organisiert haben. Dass im Zusammenhang mit den an anderer Stelle im Schriftsatz erfolgten Ausführungen zur Kausalität zwischen einem Organisationsverschulden und der Fristversäumung von einer – nicht näher erläuterten – „allgemeinen Arbeitsanweisung zur Fristenkontrolle“ die Rede ist und – einige Sätze weiter – davon, dass man davon ausgehe, „dass die zusätzliche Fristenbearbeitung durch die Rechtsanwaltsfachangestellten, hier vermutlich die Angestellte K. , den Ansprüchen genügt“ und dass „es einer sorgfältig arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten nicht möglich gewesen wäre, den Fehler bei normaler Durchsicht der in der Akte befindlichen Sendebestätigungen zu entdecken“, stellt keinen substantiellen Vortrag zu einer ausreichenden Kanzleiorganisation dar.

Die Frage, ob eine ausreichende Ausgangskontrolle bestand, ist auch nicht deshalb unerheblich, weil eine konkrete Einzelanweisung – hier zur Übermittlung des Fristverlängerungsantrags per Fax – erteilt worden ist. Zwar kommt es auf allgemeine organisatorische Regelungen nicht entscheidend an, wenn der Rechtsanwalt eine einzelne Anweisung erteilt hat, durch welche die Wahrung der Frist anderweitig hinreichend sichergestellt worden ist. Die Anweisung an einen Mitarbeiter, einen Schriftsatz per Fax an das Gericht zu übersenden, regelt aber nur die Art und Weise sowie den Adressaten der Übermittlung, erübrigt aber nicht die vor Löschung der Frist im Fristenkalender notwendige Ausgangskontrolle[7]. Die Einzelanweisung muss sich deshalb auch auf die Ausgangskontrolle erstrecken, das heißt, der Rechtsanwalt muss seinen Mitarbeiter auch anweisen, die Frist erst nach einer Kontrolle der Übermittlung anhand des Sendeprotokolls zu löschen[8]. Hieran fehlt es, abgesehen davon, dass die Bearbeitung des Fristenkalenders in eigener Verantwortung und damit die Überwachung und Löschung von Fristen nur einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Büroangestellten übertragen (und deshalb auch nur einer solchen eine hierauf bezogene Einzelanweisung erteilt) werden kann[9]. Da hier keine ausreichende Einzelanweisung vorlag, spielt es keine Rolle, dass sich der Prozessbevollmächtigte telefonisch bei seinem Auszubildenden danach erkundigt hat, ob die Anweisung ausgeführt wurde. Im Übrigen müssen Nachfragen zeitnah erfolgen[10], woran es hier ebenfalls fehlt.

Hätte in der Kanzlei der Beklagtenvertreter eine ausreichende Ausgangskontrolle bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Mitarbeiter die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt worden. Bei einer Überprüfung der Sendeberichte im Rahmen der fristwahrenden Ausgangskontrolle hätte – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – bemerkt werden müssen, dass in Sachen „Zufall gegen Dr. B. u.a.“ (22 S 35/15) kein Sendebericht vorliegt und insoweit kein Fristverlängerungsantrag gestellt worden ist. Für die Beurteilung, ob ein Organisationsfehler für die Versäumung der Frist ursächlich war, ist von einem ansonsten pflichtgemäßen Verhalten auszugehen und darf kein weiterer Fehler hinzugedacht werden[11].

Ergänzend ist anzumerken, dass der Vortrag, der Auszubildende R. habe zu den Aktenzeichen 22 S 34/15 und 22 S 35/15 jeweils einen von Rechtsanwalt H. unterzeichneten Schriftsatz gefertigt und dann versehentlich den Schriftsatz zu 22 S 34/15 zweimal übermittelt, dagegen vergessen, den Schriftsatz zu 22 S 35/15 ebenfalls zu faxen, zu dem Inhalt der vorgelegten Sendeberichte in Widerspruch steht. Das Verfahren 22 S 35/15 hat im Büro der Beklagtenvertreter das interne Aktenzeichen 2288/15, das Parallelverfahren dagegen das Aktenzeichen 2289/15. Wäre die Darstellung im Wiedereinsetzungsantrag richtig, müsste es sich bei den beiden gemäß den Sendeberichten vom 24.04.2015 um 16.03 Uhr und 16.04 Uhr gesendeten Schriftsätzen um exakt dasselbe von Rechtsanwalt H. unterzeichnete Schriftstück handeln. Dies ist aber nicht der Fall. Zwar tragen beide Schriftsätze das Kurzrubrum „Z. , V. gegen K. “ und das Aktenzeichen 22 S 34/15. Jedoch trägt der eine Schriftsatz unterhalb der Datumsangabe das interne Aktenzeichen 2288/15, der andere dagegen das Aktenzeichen 2289/15. Es sind mithin zwei insoweit verschiedene Schriftsätze zum Aktenzeichen 22 S 34/15 an das Landgericht gefaxt worden. Tragen aber diese beiden Schriftsätze die Unterschrift von Rechtsanwalt H. , hätte diesem der Fehler auffallen müssen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. Januar 2016 – III ZB 110/15

  1. vgl. nur BGH, Beschluss vom 12.09.2013 – III ZB 7/13, NJW 2014, 225 Rn. 7; BGH, Beschluss vom 26.01.2006 – I ZB 64/05, NJW 2006, 1519 Rn. 11[]
  2. st. Rspr., z.B. BGH, Beschlüsse vom 13.09.2007 – III ZB 26/07, MDR 2008, 53, 54; vom 27.11.2013 – III ZB 46/13 8; und vom 26.02.2015 – III ZB 55/14, NJW 2015, 2041 Rn. 8; BGH, Beschlüsse vom 11.09.2007 – XII ZB 109/94, NJW 2007, 3497 Rn. 13; vom 04.11.2014 – VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8 ff; und vom 09.12 2014 – VI ZB 42/13, NJW-RR 2015, 442 Rn. 8[]
  3. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 19.11.1997 – VIII ZB 33/97, NJW 1998, 907; vom 23.10.2003 – V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368 f; vom 26.01.2006 – I ZR 64/05, NJW 2006, 1519 Rn. 9; vom 07.07.2010 – XII ZB 59/10, MDR 2010, 1145; vom 28.02.2013 – I ZB 75/12, NJW-RR 2013, 1008 Rn. 6; und vom 17.07.2013 – XII ZB 115/13, NJW-RR 2013, 1328 Rn. 6, 8[]
  4. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20.12 2012 – III ZB 47/12 9; vom 12.09.2013 – III ZB 7/13, NJW 2014, 225 Rn. 9; und vom 27.11.2013 – III ZB 29/13 10; BGH, Beschlüsse vom 23.10.2003 – V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369; und vom 17.07.2013 – XII ZB 115/13, NJW-RR 2013, 1328 Rn. 9[]
  5. vgl. nur BGH, Beschluss vom 27.11.2013 aaO; BGH, Beschluss vom 17.07.2013 aaO[]
  6. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 23.10.2003 aaO; und vom 24.01.2012 – II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 12[]
  7. vgl. nur BGH, Beschluss vom 12.09.2013 – III ZB 7/13, NJW 2014, 225 Rn. 11; BGH, Beschlüsse vom 23.10.2003 – V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369; vom 03.05.2005 – XI ZB 41/04, BeckRS 2005, 06274; vom 26.01.2006 – I ZR 64/05, NJW 2006, 1519 Rn. 10; vom 04.07.2006 – VI ZB 48/05 4; vom 07.07.2010 – XII ZB 59/10, MDR 2010, 1145; und vom 21.10.2010 – IX ZB 73/10, NJW 2011, 458 Rn. 8 ff[]
  8. z.B. BGH, Beschlüsse vom 19.11.1997 – VIII ZB 33/97, NJW 1998, S. 907 f; vom 18.07.2007 – XII ZB 32/07, NJW 2007, 2778 Rn. 6; und vom 28.02.2013 – I ZB 75/12, NJW-RR 2013, 1008 Rn. 8 ff[]
  9. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 11.09.2007 – XII ZB 109/04, NJW 2007, 3497 Rn. 15; vom 13.01.2011 – VII ZB 95/08, NJW 2011, 1080 Rn. 9; und vom 06.05.2015 – VII ZB 60/14, NJW 2015, 2344 Rn. 12[]
  10. BGH, Beschluss vom 26.01.2006 aaO Rn. 13[]
  11. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 24.01.2012 – II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 14; und vom 04.11.2014 – VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 14[]