Der Rechtsanwalt als Mittelverwendungskontrolleur – und seine Berufshaftpflichtversicherung

Ob die Kontrolle der Verwendung von in einen Fonds eingelegten Mitteln eine in der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts versicherte anwaltliche Tätigkeit im Sinne des § 1 AVB-A darstellt, kann vielmehr nur im Einzelfall unter Berücksichtigung einerseits der im Versicherungsvertrag getroffenen Vereinbarungen und andererseits der konkret vom Rechtsanwalt im Mittelverwendungskontrollvertrag übernommenen Aufgaben beurteilt werden.

Der Rechtsanwalt als Mittelverwendungskontrolleur – und seine Berufshaftpflichtversicherung

Ob die vom Rechtsanwalt übernommene Tätigkeit als Mittelverwendungskontrolleur vom Versicherungsschutz seiner Vermögensschadenhaftpflichtversicherung erfasst wird, ist in erster Linie durch Auslegung der vereinbarten Vertragsbedingungen zu ermitteln.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers in dem betreffenden Versicherungszweig hier eines Rechtsanwalts oder Notars – ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an[1]. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind[2].

Ein Rechtsanwalt oder Notar als Versicherungsnehmer einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte (und Notare) erkennt zunächst, dass einerseits der Begriff der versicherten beruflichen Tätigkeit in § 1 AVB-A 2002 weit gefasst ist. Zutreffend hat das Berufungsgericht insoweit angenommen, die Klausel könne nicht bereits aus sich heraus auf Tätigkeiten reduziert werden, die aufgrund gesetzlicher Bestimmungen allein Rechtsanwälten vorbehalten seien. Allerdings kann andererseits nicht dem hier als Mittelverwendungskontrolleur tätigen Rechtsanwalt darin gefolgt werden, jede von einem Rechtsanwalt zulässigerweise ausgeübte Berufstätigkeit sei nach § 1 AVB-A 2002 versichert. Dem steht entgegen, dass für einen Rechtsanwalt oder Notar als Versicherungsnehmer erkennbar das zunächst weit gefasste Leistungsversprechen des § 1 AVB-A 2002 durch die Regelungen in den Nummern 1 bis 5 der BVRR eine Ergänzung erfährt, die den weiten Begriff der beruflichen Tätigkeit ausfüllt und damit zugleich das Leistungsversprechen konkretisiert und eingrenzt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte und Notare kann daher erst der Aufzählung in den Nummern 1 bis 5 BVRR entnehmen, welche seiner beruflichen Tätigkeiten dem versprochenen Versicherungsschutz konkret unterfallen.

Dabei handelt es sich bei dem in Nr. 1 BVRR verwendeten Begriff der „freiberuflich ausgeübten Tätigkeit als Rechtsanwalt“ für den Versicherungsnehmer erkennbar nicht um eine weite Definition anwaltlicher Tätigkeit. Das erschließt sich dem Versicherungsnehmer daraus, dass die BVRR unter den Nummern 2 bis 5 als mitversichert eine Reihe von Tätigkeiten katalogartig aufzählen, die häufig mit anwaltlicher Tätigkeit einhergehen, mittlerweile möglicherweise sogar zum gewandelten Berufsbild des Rechtsanwaltes in einem weiteren Sinne gezählt werden können[3] und deshalb bei einem weiten Verständnis des Begriffes „Tätigkeit als Rechtsanwalt“ keiner gesonderten Erwähnung bedürften. Der Systematik der BVRR kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer indes entnehmen, dass die gemäß Nr. 1 BVRR versicherte freiberufliche „Tätigkeit als Rechtsanwalt“ allein die von unabhängiger Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten geprägte „klassische“ Tätigkeit des Rechtsanwaltes meint, wie sie auch in § 3 BRAO beschrieben ist. Darin bestärkt den Versicherungsnehmer auch die Formulierung der „Tätigkeit als Rechtsanwalt“ (anstelle von „Tätigkeit des Rechtsanwalts“), womit die BVRR im Kontext mit der Gegenüberstellung des abgeschlossenen (vgl. Nr. 5 BVRR) – Kataloges anderweitiger, mitversicherter Tätigkeiten ebenfalls zum Ausdruck bringen, dass Nr. 1 BVRR nur die Kerntätigkeit des Rechtsanwaltsberufs meint.

Im hier entschiedenen Fall hatte in der Vorinstanz das Oberlandesgericht Frankfurt am Main[4] angenommen, der Rechtsanwalt habe bei seiner Beschäftigung als Mittelverwendungskontrolleur weder eine solche Tätigkeit „als Rechtsanwalt“ noch eine der in Nr. 2 ff. BVRR gesondert genannten mitversicherten Tätigkeiten ausgeübt. Der Bundesgerichtshof billigte dies nun:

Der Rechtsanwalt Er war dabei weder mit Rechtsberatung noch mit Rechtsvertretung befasst. Aus § 2 des Mittelverwendungskontrollvertrages ergibt sich vielmehr, dass der Rechtsanwalt ausschließlich zur Kontrolle, Überwachung und Mittelfreigabe berufen war. Er hatte die Auszahlung der Mittel zu den im Vertrag näher aufgeführten Investitionen innerhalb eines Monats nach Abschluss der Investitionsphase auf Prospektkonformität zu prüfen. Das umfasste keinerlei rechtliche Prüfung oder Subsumtion, sondern beschränkte sich auf eine vorwiegend rechnerische – Überprüfung der im Prospekt genannten, für Investitionen bereitgestellten Beträge und vorgegebenen Prozentsätze. Soweit der Rechtsanwalt zur Prüfung berufen war, ob die Auszahlungen vom Bankkonto 2 zur Zahlung von Vergütungen, Gebühren und Kosten entsprechend der §§ 14, 17 und 20 des Gesellschaftsvertrages vorgenommen wurden, oblag ihm lediglich die Prüfung, ob die Treuhandkommanditistin, externe Dienstleister und er selbst entsprechend den prozentualen Vorgaben im Gesellschaftsvertrag vergütet wurden. Zu einer weitergehenden rechtlichen Überprüfung oder Rechtsberatung war er nicht angehalten.

Soweit der Rechtsanwalt demgegenüber geltend macht, eine versicherte Tätigkeit i.S. des § 1 AVB-A 2002 liege immer schon dann vor, wenn sich der Anwalt im Bereich zulässig ausgeübter beruflicher Tätigkeit bewege, das Mandat müsse daher weder Rechtsvertretung noch Rechtsberatung zum Gegenstand haben, so dass jede Tätigkeit als Mittelverwendungskontrolleur, auch wenn sie sich ausschließlich in Kontrolltätigkeiten erschöpfe; vom Versicherungsschutz umfasst sei, findet dies nach allem in den hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen keine Stütze.

Auch in Rechtsprechung oder Literatur hat die gegenteilige Rechtsauffassung bisher nahezu keine Unterstützung gefunden.

Gerichtsentscheidungen, die ausdrücklich eine reine Mittelverwendungskontrolle als versicherte berufliche Tätigkeit i.S. des § 1 AVB-A einstufen, sind nicht ersichtlich. Der in der angefochtenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main angeführte Beschluss des Kammergerichts vom 26.11.2002[5] ist die einzig ersichtliche Entscheidung mit zumindest annähernd vergleichbarem Sachverhalt. Er stimmt jedoch mit dem Berufungsgericht im Ergebnis darin überein, dass eine Tätigkeit, die sich in einer reinen Kontrolle der vertragsgemäßen Verwendung der stillen Beteiligungen von Anlegern erschöpft, keine versicherte Ausübung anwaltlicher Tätigkeit darstellt.

Die versicherungsrechtliche Literatur geht einhellig davon aus, in der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung von Rechtsanwälten liege eine versicherte berufliche Tätigkeit i.S. des § 1 der AVB-A nur dann vor, wenn ein Mandat entweder Rechtsberatung oder Rechtsvertretung zum Gegenstand habe[6]. Überwiegend wird sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die ausschließliche Betätigung als Mittelverwendungskontrolleur in einer reinen Kontrolltätigkeit erschöpfe, die keine versicherte Tätigkeit i.S. des § 1 AVB-A darstelle, da sie weder eine Beratung noch eine anwaltliche Vertretung zum Gegenstand habe[7]. Lediglich der Aufsatz von Saenger/Scheuch[8] tritt dafür ein, die Mittelverwendungskontrolle in zahlreichen ihrer vielfältigen Erscheinungsformen als versicherte anwaltliche Tätigkeit einzustufen[9]. Diese vereinzelt gebliebene abweichende Literaturmeinung verleiht der Frage jedoch kein grundsätzliches Gewicht[10].

Auch aus der Versicherungspflicht nach § 51 Abs. 1 Satz 1 BRAO und dem Sinn der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte und Notare folgt kein anderes Ergebnis. Zwar dient die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung einer Berufshaftpflichtversicherung vorrangig dem Schutz des rechtssuchenden Publikums[11]. Das bedeutet aber nicht, dass bei Auslegung des Leistungsversprechens der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts das von Mandanten dem Rechtsanwalt als solchem entgegengebrachte Vertrauen maßgeblich den Umfang der Deckungspflicht beeinflusst. Die Gegenansicht übersieht, dass sowohl § 1 AVB-A 2002 als auch die BVRR das Leistungsversprechen an die konkrete Tätigkeit des Rechtsanwalts und nicht allein an dessen Status knüpfen. Nimmt ein Mandant eine berufsfremde Tätigkeit des Rechtsanwalts in Anspruch, kann er ungeachtet des dem Anwalt aufgrund dessen beruflicher Stellung entgegengebrachten Vertrauens nicht auf dessen Versicherungsschutz hoffen[12]. Ebenso wenig begründen der weitere Zweck der Berufshaftpflichtversicherung die Sicherung der Existenz des Berufsträgers oder der von diesem verfolgte Ansatz, die Parteien wollten sich mit Blick auf die Versicherungspflicht aus § 51 BRAO grundsätzlich rechtstreu verhalten, eine andere Auslegung des § 1 der AVB-A in Verbindung mit den BVRR.

Da der Rechtsanwalt weder als Steuerberater zugelassen ist, noch als solcher im konkreten Fall tätig geworden ist, greift das in der Versicherungspolice festgehaltene Leistungsversprechen des Versicherers, eine nebenberufliche Tätigkeit als Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter beitragsfrei mitzuversichern, nicht ein. Dieses Versprechen erstreckt sich bereits nach seinem Wortlaut nicht darauf, dass generell auch alle Schäden erfasst werden, die aus sämtlichen zum Berufsbild des Steuerberaters gehörenden Tätigkeiten resultieren.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. September 2015 – IV ZR 484/14

  1. BGH, Urteil vom 23.06.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85 und ständig[]
  2. BGH, Urteil vom 25.07.2012 – IV ZR 201/10, VersR 2012, 1149 Rn. 21 m.w.N.; st. Rspr.[]
  3. vgl. dazu Saenger/Scheuch, AnwBl.2012, 497, 499[]
  4. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 03.12.2014 – 7 U 48/13[]
  5. KG, NJW-RR 2003, 780[]
  6. Brügge in Brügge/Gräfe, Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, 2. Aufl.2013, B – IV S. 211 ff.; Brügge in Veith/Gräfe, Versicherungsprozess, 2. Aufl.2010 § 15 Rn. 160; Diller, AVB-RSW, § 1 Rn. 139 f.; Sassenbach in Terbille/Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 3. Aufl.2013 § 18 Rn. 2527; von Rintelen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl.2015 § 26 Rn. 275; wobei lediglich bezüglich des erforderlichen Gewichts der rechtsberatenden Komponente unterschiedliche Auffassungen vertreten werden[]
  7. Brügge in Brügge/Gräfe, Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, 2. Aufl.2013 B – IV S. 217; Brügge in Veith/Gräfe, Versicherungsprozess 2. Aufl.2010 § 15 Rn. 160; Diller, AVB-RSW, § 1 Rn. 38[]
  8. Saenger/Scheuch, AnwBl.2012, 497 ff.[]
  9. Saenger/Scheuch, aaO, 502; zustimmend ohne weitere Begründung unter Verweis auf den oben genannten Aufsatz: von Rintelen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 2015 § 26 Rn. 287[]
  10. BGH, Beschluss vom 20.03.2012 – VIII ZR 294/11, WuM 2012, 285 Rn. 2; BGH, Beschluss vom 08.02.2010 – II ZR 54/09, NJW-RR 2010, 1047 Rn. 3[]
  11. BT-Drs. 12/4993 S. 31 zu Nr. 22, BGH, Urteil vom 21.07.2011 – IV ZR 42/10, VersR 2011, 1257 Rn. 27[]
  12. a.A. wohl OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.06.2008 4 U 164/07, BeckRS 2008, 25292 unter – I 1 b[]