Poststreik – und die zu wahrende Frist

Hat ein Prozessbevollmächtigter Kenntnis von dem Beginn eines bundesweiten Poststreiks, ist er gehalten, sich vor Absenden eines fristwahrenden Schriftsatzes über die Auswirkungen des Poststreiks am Versand- und Empfangsort zu informieren. Dazu gehört es, die Berichterstattung über den Streik in Zeitung, Fernsehen, Rundfunk oder den Internetportalen der Nachrichtenanbieter zu verfolgen[1].

Poststreik – und die zu wahrende Frist

Andernfalls verletzt der Kläger resp. sein Prozessbevollmächtigter- die ihn als Rechtsanwalt bei der Versendung fristgebundener Schriftsätze auf dem Postweg in Zeiten eines Poststreiks treffenden Sorgfaltspflichten.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und der anderen Obersten Gerichtshöfe dürfen dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung oder der Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden[2]. Er darf vielmehr grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden[3].

Anders liegt es, wenn dem Postkunden besondere Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können. Eine solche Ausnahmesituation, in der das Vertrauen in die Einhaltung der normalen Postlaufzeiten erschüttert sein kann, ist der Poststreik. Hat ein Prozessbevollmächtigter Kenntnis davon, dass sein fristgebundener Schriftsatz von dem Poststreik betroffen sein kann, und wählt er für die Beförderung gleichwohl den Postweg, obwohl sichere Übermittlungswege (Einwurf in den Gerichtsbriefkasten am Ort; Benutzung eines Telefaxgeräts) zumutbar sind, treffen ihn gesteigerte Sorgfaltsanforderungen[4]. Von einem Rechtsanwalt, der Kenntnis von dem Beginn eines bundesweiten Poststreiks erlangt hat, ist deshalb zu verlangen, dass er sich über den Streikverlauf so weit wie möglich informiert. Dazu gehört es, die Berichterstattung über den Streik in der Presse, im Rundfunk, im Fernsehen oder auf den Internetportalen der Nachrichtenanbieter zu beobachten sowie die Informationsangebote der Gewerkschaft Verdi oder der Deutschen Post AG zu nutzen. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass die Öffentlichkeit unverzüglich und regelmäßig über Streikaktionen der Gewerkschaft informiert wird.

Nach diesen Grundsätzen waren im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten obliegenden gesteigerten Sorgfaltspflichten nicht erfüllt. Das Berufungsgericht stellt rechtsfehlerfrei fest, dass er zum Zeitpunkt des Einwurfs der Berufungsschrift in den Briefkasten am 11.06.2015 bei Anstellen der gebotenen Nachforschungen Kenntnis davon erlangt hätte, dass sie von dem Poststreik betroffen sein kann.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Gewerkschaft Verdi in einer Pressemitteilung vom 09.06.2015 über den schrittweisen Beginn des unbefristeten Poststreiks in den bundesweit 83 Briefverteilzentren informiert; hierüber wurde seinerzeit in den Medien ausführlich berichtet. Die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass ein Rechtsanwalt unter diesen Umständen von einer Ausdehnung des Poststreiks auf das Stadtgebiet hätte Kenntnis erlangen müssen, ist nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger geltend macht, ein Anwalt könne nicht gehalten sein, die Online-Mitteilungen eines jeden Nachrichtenanbieters zu verfolgen, ergibt sich daraus nichts anderes. Der Hinweis des Berufungsgerichts auf die Internetseite des WDR ist nur beispielhaft gemeint und in rückschauender Betrachtung als Beleg dafür gedacht, dass der Poststreik (auch) in Düsseldorf schon vor dem 11.06.2015 Gegenstand öffentlicher Berichterstattung war. Entscheidend ist, dass in den Medien ausführlich über den Streik berichtet wurde.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. Mai 2016 – V ZB 135/15

  1. Fortführung von BGH, Beschluss vom 18.02.2016 – V ZB 126/15, NJW 2016, 2750[]
  2. BVerfG, NJW 1995, 1210, 1211; 2001, 1566; 2003, 1516; BGH, Beschluss vom 13.05.2004 – V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217, 1218; jeweils mwN[]
  3. BGH, Beschluss vom 19.06.2013 – V ZB 226/12 7; BGH, Beschluss vom 12.09.2013 – V ZB 187/12 9, jeweils mwN[]
  4. BGH, Beschluss vom 09.12 1992 – VIII ZR 30/92, NJW 1993, 1332, 1333; Beschluss vom 25.01.1993 – II ZB 18/92, NJW 1993, 1333, 1334; BGH, Beschluss vom 18.02.2016 – V ZB 126/15, NJW 2016, 2750 Rn. 9 ff.; vgl. auch BVerfG, NJW 1995, 1210, 1211[]