Eigenmächtige Schriftsatzkorrekturen durch das Büropersonal

Werden an dem Entwurf einer Rechtsmittelschrift nach der Durchsicht durch den Rechtsanwalt noch eigenmächtig Korrekturen durch das Büropersonal vorgenommen, muss der Rechtsanwalt dafür Sorge tragen, dass ihm der korrigierte Schriftsatz nebst Anlagen grundsätzlich erneut zur Kontrolle vorgelegt wird.

Eigenmächtige Schriftsatzkorrekturen durch das Büropersonal

Dumm gelaufen: Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war am letzten Tag der (verlängerten) Berufungsbegründungsfrist beim (erstinstanzlichen) Landgericht Nürnberg-Fürth per Telefax ein Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingegangen, der ab Seite 2 die (bis auf die fehlende erste Seite vollständige) Berufungsbegründung enthalten hat. Die vorangestellte erste Seite war jedoch bis auf das Datum identisch mit der ersten Seite der erstinstanzlichen Klageerwiderungsschrift, so dass der Schriftsatz als solcher sowohl hinsichtlich der Postanschrift als auch hinsichtlich der aufgedruckten Telefaxnummer an das Landgericht Nürnberg-Fürth adressiert war. Beim Oberlandesgericht Nürnberg ist der Schriftsatz nach Weiterleitung erst am Folgetag eingegangen. Auf den vom Berufungsgericht erteilten Hinweis auf die Fristversäumung hat die Beklagte die vollständige Berufungsbegründung am 15.07.2014 eingereicht und zugleich beantragt, ihr gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Beklagte vorgetragen, die zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten, Frau P. , habe nachdem der zuständige Rechtsanwalt die vollständige Berufungsbegründung unterzeichnet habe auf der ersten Seite noch eine Korrektur vorgenommen, dann jedoch versehentlich die erste Seite der Klageerwiderung ausgedruckt und dem Schriftsatz vorangestellt. Beim Versenden des Schriftsatzes habe es die Angestellte unterlassen, gesondert zu überprüfen, ob die angegebene Telefaxnummer dem Oberlandesgericht zugeordnet sei. Zudem habe sie anschließend die Begründungsfrist im Fristenkalender ausgetragen, ohne zuvor noch einmal die Daten des Sendeberichts zu kontrollieren.

Das Oberlandesgericht Nürnberg hat den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und deren Berufung als unzulässig verworfen[1]. Der Bundesgerichtshof bestätigte dies nun und verwarf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde:

Zu Recht hat das OLG Nürnberg der Beklagten die begehrte Wiedereinsetzung versagt. Die Beklagte hat die Begründungsfrist nicht unverschuldet versäumt (§ 233 ZPO). Ihre Prozessbevollmächtigten trifft an der Fristversäumnis ein Verschulden, das sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltlichen Organisationspflichten bei der Anfertigung fristgebundener Schriftsätze nicht überspannt, sondern unter Beachtung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist rechtsfehlerfrei versagt und das Rechtsmittel der Beklagten als unzulässig verworfen.

Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierbei hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen[2]. Ein Rechtsanwalt darf zwar diverse Bürotätigkeiten an Büroangestellte delegieren, die sich als zuverlässig erwiesen haben. Die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift gehört aber zu den Aufgaben, die der Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen. Die Aufgabe darf in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Büropersonal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss die Rechtsmittelschrift deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts, überprüfen[3]. Werden an dem Entwurf einer Rechtsmittelschrift nach der Durchsicht durch den Rechtsanwalt noch eigenmächtig Korrekturen durch das Büropersonal vorgenommen, muss der Rechtsanwalt dafür Sorge tragen, dass ihm der korrigierte Schriftsatz nebst Anlagen grundsätzlich erneut zur Kontrolle vorgelegt wird.

Diesen Anforderungen sind die Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht gerecht geworden. Das Berufungsgericht hat zu Recht ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten an der Fristversäumung darin gesehen, dass sie keine ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen dagegen getroffen haben, dass Schriftsätze von der Bedeutung einer Berufungsbegründung nach deren Billigung durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt noch eigenmächtig von deren Büropersonal abgeändert werden, oder für einen solchen Fall nicht dafür Sorge getragen haben, dass dem zuständigen Rechtsanwalt die korrigierte Fassung nochmals zur erneuten Bestätigung vorgelegt wird. Die Beklagte hat etwas anderes weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht.

Aus den Ausführungen der Beklagten ist schon nicht ersichtlich, dass das Büropersonal ihrer Prozessbevollmächtigten entgegen den Maßgaben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einer eigenmächtigen Abänderung von bereits anwaltlich gebilligten Schriftsätzen von der Bedeutung einer Berufungsbegründung grundsätzlich nicht befugt war. Die generelle Untersagung einer solchen Abänderungsbefugnis ergibt sich nicht aus dem Vorbringen der Beklagten, die Fristversäumnis beruhe auf einem außergewöhnlichen und einmaligen Fehlverhalten der Mitarbeiterin P. , was auch insoweit gelte, als sie „eigenmächtig“ die erste Seite der schon fertigen und unterschriebenen Berufungsbegründung wegen eines vermeintlichen Korrekturbedarfs ausgetauscht habe. Daraus folgt zunächst nur, dass die Korrektur des Schriftsatzes nicht aufgrund einer konkreten Einzelweisung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts vorgenommen worden ist; es besagt aber nichts dazu, dass dem Büropersonal eine eigenmächtige Korrektur generell untersagt war. Dass letzteres im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht völlig unüblich war, ergibt sich dagegen aus der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleiangestellten P. , wonach sie dem zuständigen Rechtsanwalt den Vorgang nicht mehr vorgelegt habe, weil sie davon ausgegangen sei, „nur das Rubrum („wahrscheinlich Schreibung des Namens des Klägers“) korrigiert zu haben“. Diese Erklärung kann nur dahin verstanden werden, dass sich Frau P. für befugt hielt, gewisse Änderungen eigenmächtig vornehmen zu dürfen.

Soweit dem Büropersonal nach Billigung eines Schriftsatzes durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt Schreibfehler auffallen, muss deren nachträgliche Berichtigung auch noch nachträglich möglich sein. Ob und inwiefern der Rechtsanwalt diese Aufgabe seinem Büropersonal in eigener Verantwortung überlassen kann, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls bei der Korrektur von Schriftsätzen von der Bedeutung einer Rechtsmittelbegründung muss der Rechtsanwalt dafür Sorge tragen, dass ihm im Fall einer erforderlichen Berichtigung der Schriftsatz nochmals zur Kontrolle vorgelegt wird. Dies gilt insbesondere bei Änderungen auf der ersten Seite eines solchen Schriftsatzes, weil bei einer solchen Fehlerkorrektur stets die Gefahr besteht, dass versehentlich oder durch eine Fehlbedienung des Schreibcomputers auch andere Angaben, wie etwa der Briefkopf oder die Telefaxnummer des Gerichts, geändert werden.

Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass eine entsprechende allgemeine Büroanweisung ihrer Prozessbevollmächtigten bestanden hat. Der mit der Rechtsbeschwerde vorgelegte Auszug aus dem Kanzleihandbuch ihrer Prozessbevollmächtigten, wonach bei einem Korrekturerfordernis dem zuständigen Rechtsanwalt der korrigierte Ausdruck des Schriftsatzes nebst Anlagen nochmals vorzulegen ist, bezieht sich nur auf solche Korrekturen, die der Rechtsanwalt in dem ihm zunächst vorgelegten Entwurf selbst angebracht hat, nicht dagegen auf nachträglich von dem Büropersonal eigenmächtig vorgenommene Berichtigungen. Insoweit lassen die allgemeinen Anweisungen die erforderliche Klarheit vermissen. Im Streitfall kommt hinzu, dass auch die Rechtsanwaltsfachangestellte P. was aus ihrer eidesstattlichen Versicherung hervorgeht die Anweisung offensichtlich nicht auf von ihr vorgenommene Korrekturen einzelner Schreibfehler bezogen hat.

Ein Hinweis des Berufungsgerichts nach § 139 ZPO, dass es den Vortrag der Beklagten als unzureichend ansieht, war nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht erforderlich. Dem Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass die Anforderungen der Rechtsprechung erfüllt worden sind, so dass ein Hinweis zur Präzisierung oder Klarstellung einer zuvor bereits vorgetragenen Tatsache nicht veranlasst war[4].

Die mangelhafte Organisation war für die Fristversäumung ursächlich. Für die Beurteilung, ob ein Organisationsfehler für die Versäumung der Frist ursächlich geworden ist, ist von einem ansonsten pflichtgemäßen Verhalten auszugehen und darf kein weiterer Fehler hinzugedacht werden[5]. Hätte in der Kanzlei der Beklagtenvertreter eine umfassende Anordnung zur nochmaligen Kontrolle korrigierter Schriftsätze bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten des zuständigen Rechtsanwalts das fehlerhafte Adressfeld aufgefallen und die Berufungsfrist nicht versäumt worden.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. September 2015 – XI ZB 8/15

  1. OLG Nürnberg, Beschluss vom 03.02.2015 – 14 U 993/14[]
  2. BGH, Beschluss vom 02.02.2010 – XI ZB 23/08 und – XI ZB 24/08, WM 2010, 567 Rn. 11 mwN; BGH, Beschluss vom 04.11.2014 – VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 8[]
  3. BGH, Beschluss vom 05.06.2013 XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 11 mwN[]
  4. vgl. BGH, Beschlüsse vom 10.09.2013 – VI ZB 61/12, NJW-RR 2013, 1467 Rn. 10; und vom 14.10.2014 – XI ZB 13/13, NJW-RR 2015, 624 Rn.20, jeweils mwN[]
  5. BGH, Beschlüsse vom 24.01.2012 – II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 14; und vom 04.11.2014 – VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 14[]